Maschine, Denkmal, Landmarke
Historische Mühlen - Konflikt um eine Denkmalgattung
Tagung der BTU Cottbus, 26./27. Oktober 2001
Historische Mühlen als öffentliche Aufgabe und Konzepte zu ihrer Erhaltung, Sanierung und NutzungAutor: Erhard Jahn, Präsident der DGM (Deutsche Gesellschaft für Mühlenkunde und Mühlenerhaltung)Um die Wende von 19. zum 20. Jahrhundert hatte die Wind- und Wassermüllerei ihre Blüte zwar schon überschritten, dennoch versorgten im damaligen Deutschland etwa 30 000 Mühlen dieser Art Mensch und Tier mit Getreideprodukten. Dahinter stand eine Vielzahl von Menschen mit einem hohen Kenntnisstand über Bau, Betrieb und Unterhaltung von Mühlen und Müllereitechnik.
Doch der technische Fortschritt machte auch vor den historischen Mühlen nicht Halt, und neue Energien und Technologien führten zum Entstehen großer Industriemühlen, in deren Schatten den kleinen Handwerksbetrieben das Überleben nahezu unmöglich wurde. Die Folge waren die verschiedenen Etappen des Mühlensterbens, begleitet von den unterschiedlichen Erscheinungen des Verfalls. Eine großartige zweitausendjährige technikgeschichtliche Entwicklung drohte völlig unterzugehen, wenn es nicht Menschen gegeben hätte, die sich, als es noch nicht ganz zu spät war, dem allgemeinen Zeitgeist entgegen stemmten.
So entstanden 1957 der Niedersächsische Mühlenverein und 1960 der Schleswig-holsteinische Mühlenverein. Im nordrhein-westfälischen Minden-Lübbecke wurde 1975 ein Beschluss gefasst, in dessen Folge schließlich die heute weithin bekannte Westfälische Mühlenstraße entstand. In der DDR wurde 1982 der damalige Arbeitskreis Mühlen gegründet, der eine Vielzahl von Mühlenerhaltungsmaßnahmen fachlich und organisatorisch betreute.
Hier wurden nur einige der frühen Aktivitäten genannt, in denen sich Müller, technikbegeisterte Mühlenfreunde und verantwortungsbewußte Kommunen zusammenschlossen, um etwas gegen den Verfall und für den Erhalt dieser technik- und kulturgeschichtlich wertvollen Denkmale zu unternehmen. Damit begannen sich auch Mühlenbetriebe und Mühlenerhalte aus der Anonymität der betreffenden Berufsgruppen in die Öffentlichkeit hinein zu verlagern.
Eine Ermittlung, die für Sachsen-Anhalt angestellt wurde, die aber auch in ähnlicher Weise für Mittel- und Norddeutschland insgesamt gelten dürfte, zeigt, dass 70 % der historischen Wind-und Wassermühlen nicht mehr im Besitz von Müllerfamilien, nur noch 20 % gelegentlich in Betrieb und ganze 8 % noch im Besitz einer Gewerbeerlaubnis sind.
Die vorgenannten Zahlen sind ein deutliches Zeichen für die wachsende Verantwortung der Öffentlichkeit, die im folgenden nochmals schwerpunktmäßig zusammengefaßt dargestellt ist:
- Mühlen sind unstrittig Teil des Kulturgutes der menschlichen Gesellschaft. Sie gehören nachweislich zu den
ältesten Hilfsmitteln in Hauswirtschaft und Gewerbe. Ihr Erhalt und ihre Weitergabe an die nächste Generation ist eine der vornehmsten Pflichten der Gesellschaft.
- Ein völliger Wandel der Besitzerverhältnisse bei historischen Mühlen trat in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts ein. Die überwiegende Zahl der Mühlen ist heute im Besitz von Städten, Gemeinden oder Vereinen oder wird von diesen betreut.
- Durch völliges Wegbrechen des wirtschaftlichen Hintergrundes der historischen Müllerei kann eine kleine Handwerksmühle weder wirtschaftlich betrieben noch erhalten werden.
- An die Stelle des nicht mehr erarbeitbaren Gewinns aus dem Betrieb der Mühle müssen andere Finanzierungsquellen privater und öffentlicher Art treten, die dem Erhalt der Mühle zugeführt werden.
- Das Bild einer großen Zahl restaurierter Mühlen in der heutigen Mühlenlandschaft ist das Ergebnis eines großen öffentlichen Engagements sowie gewaltiger privater und öffentlicher Fördermittel.
- Der sparsame Einsatz von Fördermitteln sowie die fachlich fundierte Ausführung von Restaurierungsarbeiten erfordern den Einsatz qualifizierter Planer, Handwerker und Baubetreuer, die um ihre ständige Weiterbildung bemüht sein müssen.
- Das Interesse breiter Kreise der Bevölkerung an historischen Mühlen ist allein in den letzten zehn Jahren enorm gestiegen und zu einem breiten öffentlichen Anliegen geworden.
- Es gibt auch heute noch eine Reihe von Mühlen, die durch Fahrlässigkeit, Böswilligkeit oder Ignoranz gefährdet sind. Das Verständnis und der Wille zum Erhalt von Mühlen sind durchaus nicht flächendeckend auf hohem Niveau vorhanden.
- Alle mit dem Betrieb und der Pflege von historischen Mühlen befaßten Behörden, Personen oder Personengruppen müssen sich ihrer hohen gesellschaftlichen Verantwortung bewußt sein. Sie dürfen strittigen Auseinandersetzungen mit Gegnern der Denkmalpflege nicht aus dem Weg gehen!
- In allen Bundesländern stehen ehrenamtlich arbeitende Mühlenvereine und als Dachorganisation die Deutsche Gesellschaft für Mühlenkunde und Mühlenerhaltung allen Interessierten mit Rat und Tat zur Seite.
Mühlenbau- und Unterhaltungsmaßnahmen erforderten seit jeher ein hohes Maß an fachlicher Qualifikation und beruflicher Erfahrung. Nicht zufällig wurden Mühlenbauer früherer Zeit oft als „Mühlenärzte“ bezeichnet, eine Wertschätzung, die die hohe Achtung vor dem Können dieser Fachleute zum Ausruck brachte.
Heute ist der Beruf des Mühlenbauers nahezu ausgestorben. Nur noch wenige Fachleute, die diese ehrenvolle Bezeichnung wirklich verdienen, sind in der Branche tätig. Es geschieht häufig, dass Mühleneigentümer, insbesondere wenn sie keine Müller mehr sind, eine große Zahl von Pseudospezialisten auf die Mühlen loslassen. Das kann im Ausnahmefall gut gehen, führt aber in der Regel zu bösen Überraschungen. Der Verlust wesentlicher Denkmaleigenschaften, gestalterisch unbefriedigende Lösungen, unzulässige statisch-konstruktive Eingriffe, technisch-funktionelle Fehlurteile und sinnlose Geldausgaben sind oftmals die Resultate des Wirkens von Nichtfachleuten.
Kommunen, Vereine und Eigentümer allgemein sollten hier ein hohes Maß von Verantwortung entwickeln, um vorgenannte Erscheinungen konsequent zu verhindern. Auch die Landesämter für Denkmalpflege sind hier gefordert. Oftmals bleibt der Respekt, der der Dorfkirche ganz selbstverständlich entgegengebracht wird, der Mühle versagt. Das läßt sich auf Dauer mit fehlendem Fachwissen nicht mehr begründen, denn es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Spezialisten, die über die Landesmühlenvereine erreichbar und zur fachlichen Beratung gern bereit sind.
Die Grundsätze, die bei der Sanierung historischer Mühlen beachtet werden müssen, sind im folgenden zusammengestellt:1. Bei einer historischen Mühle handelt es sich in der Regel um ein Denkmal im Sinne des jeweils im betreffenden Bundesland geltenden Denkmalschutzgesetzes.
2. Jede Sanierungsmaßnahme an einer Mühle ist - wenn 1. zutrifft - durch die Untere Denkmalschutzbehörde zustimmungspflichtig.
3. Vor der Sanierung steht die Erfassung und Dokumentation: des Gebäudes mit allen Schadensbildern, der technischen Ausstattung und des technologischen Produktionsablaufes.
4. Ergänzend zur Dokumentation der Anlage muss die Erfassung der Mühlengeschichte erfolgen, d.h. die Erfassung aller Fakten zur Technik, Nutzungs- und Sozialgeschichte.
5. Auf der Basis der Erkenntnisse aus den Punkten 3. und 4. und unter Einbeziehung der Vorstellungen des Eigentümers zur künftigen Nutzung ist die denkmalpflegerische Zielstellung zu erarbeiten.
6. Für die Sanierung gilt grundsätzlich: Erhalten vor Ersetzen! - sowohl für die Bauteile wie für Maschinen und
Ausstattung.
7. Der Ersatz von verschlissenen Bau- und Maschinenteilen muß getreu den denkmalpflegerischen Prinzipien in Material und Form dem historischen Original entsprechen.
8. Als ein Grundsatz der Sanierung sollte gelten: Solange eine Mühle auch als Denkmal eine produzierende Anlage ist, sollten Modernisierungen erlaubt sein. Ist die Mühle nur noch ein Dokument einer abgeschlossenen Epoche, sollten Modernisierungen im Zuge der Sanierung nicht erlaubt sein.
9. Das Bereinigen und Aufräumen einer zur Sanierung anstehenden Mühle darf nicht zum Verlust ihrer Authentizität führen.
10. Jede Mühlensanierung sollte unter der Anleitung eines fachlich qualifizierten Planers von erfahrenen Handwerkern ausgeführt werden.
Ein Blick in die heutige Mühlenlandschaft zeigt zweierlei. Einerseits wurde und wird eine Menge zum Erhalt von Mühlen getan, andererseits stoßen Bemühungen oft auch an ihre Grenzen bzw. gehen in die falsche Richtung. Die ideale Mülenerhaltung besteht in der kontinuierlichen Unterhaltung bei Auswechslung verschlissener Bau- und Maschinenteilen. Die Mühle bleibt authentisch bis zum Erhalt des Mehlstaubs.
Eine Vielzahl von Sanierungen setzt erst nach einer jahrzentelangen Stillstands- und Verfallsperiode ein. Dann ist die Zielstellung die Schaffung von nicht mehr produzierenden aber funktionierenden Schauanlagen, oftmals verbunden mit einem großen finanziellen Aufwand und dem Verlust der historischen Originalität.
In der praktischen Mühlenerhaltung sind folgende Grundsätze zu beachten:- Bei einer Komplettsanierung besteht die Aufgabe der Planung in der Auflösung der Widersprüche zwischen bauordnungsamtlichen Forderungen, denkmalpflegerischen Ansprüchen, funktionellen Notwendigkeiten, wirtschaftlichen Zwängen und handwerklicher Realisierung.
- Die Aufgabenstellung muß präzise formuliert und auf die Eigenarten der Mühle ausgerichtet sein. Dabei muß verhindert werden, dass irgendwann alle Mühlen auf ein genormtes Standardniveau zurecht saniert werden.
- In den Ausschreibungen muss sich die Aufgabenstellung präzise widerspiegeln. Die Ausschreibungen müssen eindeutige Angaben zu handwerklichen Ausführungen erhalten.
- Die Aufteilung der Lose muss so erfolgen, dass fachlich voneinander abhängige Arbeiten nicht getrennt werden, um Unklarheiten bei späteren Regressansprüchen zu vermeiden.
- Die Vergabe der Aufträge darf nur an Betriebe erfolgen, die ihre fachliche Eignung nachgewiesen haben.
Bei Beachtung dieser Grundregeln werden letztlich Sanierungslösungen entstehen, die mühlentechnisch und denkmalpflegerisch Bestand haben. Dass es dennoch zu Fehlschlägen und Misserfolgen kommt, zeigen Einstürze von Mühlenruinen, deren Sanierung über Jahrzehnte hinweg nicht zustande gekommen ist. Da gibt es ein gravierendes Fehlurteil eines Verwaltungsgerichtes zur Genehmigung eines Wohnhauses in 35 Meter Entfernung von einer Windmühle. Die an sich lobenswerte Initiative einer Stadt zum Nachbau einer „historischen Schiffmühle“ ohne Konsultation des regionalen Mühlenvereins führte zur Errichtung eines technischen Monsters.
Diese und ähnliche Vorfälle wird es wohl immer wieder geben. Sie machen deutlich, dass eine Menge Arbeit zu leisten und stete Wachsamkeit geboten ist. Nur dann wird es gelingen, das technikgeschichtliche Erbe möglichst unverfälscht an die nächste Generation zu übergeben.