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Hallo, ich bin Babapf und neu hier. Ich schreibe gerade an unserer Familiengeschichte. Ein Vorfahre, geb. 1878, war Müller. Gelernt hat er auf einer Wassermühle in der Oberpfalz, später ging er auf die Wanderschaft und war bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges in einer Kunstmühle "im Badischen". Mich interessiert alles, was mit seinen Lebensumständen zu tun hat: Wie waren die Arbeitsbedingungen/ die Bezahlung um die vorletzte Jahrhundertwende? Wie sah die Ausbildung aus? Welche Gefahren/ Unfallrisiken gab es? Wann setzte das "Mühlensterben" ein und wie wirkte es sich aus? Waren Müller Vorreiter bei der Elektrifizierung? Gibt es Quellen, die mir weiterhelfen könnten? Gibt es vielleicht freundliche Forenmitglieder, die mir weiterhelfen können und wollen?
Zitat von babapfWaren Müller Vorreiter bei der Elektizifierung?
Hallo Anna, hierzu weiß ich folgendes zu berichten. Eine Wassermühle im Raum Naumburg (Sachs.-Anh.) trieb einen Gleichstromgenerator an. Das war so ab ca. 1900. Im Inselbetrieb wurden Abnehmer im Ort versorgt, das waren nur wenige. Die Mehrheit der Einwohner hatten keinen Strom. Das Besondere daran, von der Mühle (dem Kraftwerk) waren zu jedem Abnehmer separate Freileitungen verlegt. Der Stromverbrauch wurde in der Mühle gezählt ! Zähler wie wir sie kennen, gab es noch nicht. Damals enthielten sie ein Glasrohr. In diesem verdampfte Quecksilber, in Abhängigkeit der Strommenge. Außen war eine Skala, an der man den Verbrauch ablesen konnte. Am Monatsende kam der Kunde, gemeinsam mit dem Müller wurde der Zähler abgelesen und der Strombezug bezahlt. Anschließend wurde das Glasrohr um 180° gedreht und neu verplompt. Fertig
Das Kraftwerk besteht noch heute, sicher nicht wie 1900, aber so wie etwa 1930. Es ist eine AEG-Anlage in Topperhaltung. Später kam dann der überregionale Anbieter und drängte den Müller aus dem Geschäft. Noch heute wird so elektr. geheizt.
Hallo Erst mal vorab ein paar grobe Antworten: Kann nur für eine größere Mühle antworten geben(so um 1920 in Ostpr.)
Zitat Wie waren die Arbeitsbedingungen/ die Bezahlung um die vorletzte Jahrhundertwende? Wie sah die Ausbildung aus? Welche Gefahren/ Unfallrisiken gab es?
Bezahlung 65-70 Reichsmark(10 RM Wohnungsmiete),Arbeitszeiten so 12-16 Stunden Beleuchtung mit Petroleumlampen in staubiger Atmosphäre(jeden Tag Lampen warten wegen Feuergefahr),Staublunge, in Treibriemen abgerisssene Gliedmaßen. Lehrzeit damals 4 Jahre,nur ein paar Tage einen "Schulkurs"(Berufschule) vor der schriftl. Gesellenprüfung. Techniker und Meisterschulen gab es schon in heute ähnlicher Form. Techniker und Meisterschulen gab es z.b Dippoldiswalde(heute Deutsche Müllerschule Braunschweig) München Worms Nürnberg Wanderschaft ca. 1/2 bis 1 Jahr
Zitat Wann setzte das "Mühlensterben" ein und wie wirkte es sich aus?
Das Mühlensterben begann ca 1880, endete in den 1970er Jahren Es gab um 1900 etwa 70.000 Mühlen,1930 etwa 6000,1970 etwa 4000 heute sind es ca.400 Die Müller bekamen eine Stilleguungsprämie von ca 30.000 DM so mein Urgroßvater 1956, Mahlsteine und Getriebe flogen auf den Schrott.
Zitat Waren Müller Vorreiter bei der Elektrifizierung?
Ja und Nein. Elektrifizierung im Großen Mastab erfolgte erst als Tesla und Westinghouse das Wasserkraftwerk an den Niagarafällen/USA in Betrieb nahmen. Eine wirkungsvolle PR Maßnahme war auch die erste Fernstromleitung von Lauffen nach Frankfurt/M um 1891 zur Elektrizitätsaustellung,lohnt sich zu googlen sehr interessante Geschichte... Viele kleine (Wasser)Mühlen lieferten aber vor dem aufkommen der Verbundnetze im Inselbetrieb Strom für den Eigenbedarf und für die Nachbarschaft,das waren aber wenige KW Mein Urgroßvater hatte eine Mühle nach dem ersten WK gekauft und ab ca 1930 einen (Gleichstrom)Generator an die Wasserradwelle gehängt und so als erster in Adelebsen bei Göttingen Strom der für ein paar funzelige Glühbirnen Telefon(!) und Röhrenradio reichte, die Anlage bestand bis 1956,dann anschluss an Verbundnetz. Die Hausleitungen aus 1930 werden bis heute genutzt!
Zitat Gibt es Quellen, die mir weiterhelfen könnten?
z.b dieses Forum Sehr empfehlenswert und passend für die Zeit deines Vorfahren: "150 Jahre Müllerei und Mühlentechnik" zu Bestellen(wenn noch vorhanden) bei dem Herausgeber Stefan Kastenmüller info@kastenmüller.com. Antiquariate
Zitat Gibt es vielleicht freundliche Forenmitglieder, die mir weiterhelfen können und wollen?
Einfach fragen vielleicht hilft ja einer
Schöne Grüße Paul aus Hessen,jetzt(noch) Osnabrücker
Gruß aus der Klapsmühle! Paul
Andere haben so nutzlose Steinhaufen gebaut, die Pyramiden genannt werden, ich baue lieber Mühlen, die nützen wenigstens den Menschen.
Zitat von babapfWas bedeutet eigentlich "Kunstmühle"?
Das Gegenteil der Kunstmühlen sind Wind- und Wassermühlen mit "natürlicher" Antriebskraft. Wurde eine Wind- oder Wassermühle z.B. auf Ektroenergie ("künstliche Antriebskraft) umgerüstet (z.B. weil die Flügel verbrannt waren und ein Neukauf zu teuer war), wurde daraus jedoch keine Kunstmühle. Von "Kunstmühle" sprach man nur dann, wenn diese nicht als Wind- oder Wassermühle, sondern als "moderne" Mühle mit "künstlicher" Antriebskraft gebaut wurde. Also gewissermaßen eine Industrie- oder auch Fabrikmühle ohne Flügel bzw. Wasserad/Wasserturbine.
Oder "Kunstmühle" kommt von den vergleichsweise "Anspruchsvollen" Ablaufdiagramm der modernen Mühlen im Gegensatz zu den primitiven alten... Eben eine echte "Kunst" diese zu gestalten... Hab ich mal gehört.
Gruß aus der Klapsmühle! Paul
Andere haben so nutzlose Steinhaufen gebaut, die Pyramiden genannt werden, ich baue lieber Mühlen, die nützen wenigstens den Menschen.
Zitat von MehltheuerOder "Kunstmühle" kommt von den vergleichsweise "Anspruchsvollen" Ablaufdiagramm der modernen Mühlen im Gegensatz zu den primitiven alten...
Zitat von MehltheuerOder "Kunstmühle" kommt von den vergleichsweise "Anspruchsvollen" Ablaufdiagramm der modernen Mühlen im Gegensatz zu den primitiven alten...
Nee, ich glaube nicht.
Glaube ich aber schon. Vom Umherreisen in deutschen Landen ist mir der Begriff "Kunstmühle" eigentlich nur aus südlichen Gefilden geläufig - und da prangt(e) er an jeder zweiten Wassermühle. Ohne, dass ich das jetzt belegen kann - den Begriff assoziiere ich mit einer Walzenmühle, allerdings käm es mir auch nicht absurd weit her geholt vor, eine automatische oder halb automatische Mühle mit Gängen und Zentrifugalsichtern als KM zu bezeichnen.
Habe diese Version von dem Ausbilder an der Schulmühle in Stuttgart, als einer der Schüler mal fragte was eine "Kunstmühle" ist. Ich glaube das war ein "Angeberbegriff" wie "Ich habe eine 5 Tonnenmühle,du aber nicht!" Fünf Tonnen Tagesleistung wohlgemerkt...
Gruß aus der Klapsmühle! Paul
Andere haben so nutzlose Steinhaufen gebaut, die Pyramiden genannt werden, ich baue lieber Mühlen, die nützen wenigstens den Menschen.